Die Legende
von
Cornbrant ap Midbar



Prolog

Das Wappen von Midbar

Der Kleinerbe

ISOSTAR AP LINTH

Der Großfürst

Dolomit tren Keer

Caradurs Feuergang

Brinnentrutz

Stiftenbrants Tod

Das Banner von Turgenien

Die Glatte Ebene

Arynmon

Auf "Großer Fahrt"

Lure Ogertod

Operation Wildschwein




Index

Stammbaum

Zeittafeln



"Die Legende von Cornbrant ap Midbar" und die darin geschilderten fiktiven Personen, Orte und Begebenheiten sind mein geistiges Eigentum, sofern es sich dabei nicht um Begriffe aus dem kollektiven Unterbewusstsein der Menschheit, ihrem reichen Kulturschatz oder gar der Unterhaltungsindustrie handelt. Besonders auf solche letzterer Provenienz erhebe ich selbstredend keinerlei Ansprüche, gell?

Hamburg, 2008

 
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  Cornbrant ap Midbar

Abschnitt I – Worin es der Klarstellung einiger Dinge bedarf

Cornbrant ap MidbarLure erkannte einen Hysteriker, wenn sie einen vor sich hatte. Nachdem Isostar ihr die gefüllte Milchschale mit den Worten "Ich hasse Schafe!" aus der Hand geschlagen hatte und anfing "Kommt doch her, ihr Drecksmonster!", "Macht endlich Schluss!" und ähnlichen Unsinn zu kreischen, schlug die Waffenmeisterin ihn mit einem gezielten Faustschlag bewusstlos.

So bleibt etwas Zeit, um ein paar Dinge klarzustellen.
1. Wie ist es einem Menschen möglich, ein ausgewachsenes Mutterschaf hochzustemmen? Hierzu bieten sich drei Lösungen an: a) der Schäfer war – vom Wahnsinn getroffen – noch viel stärker, als dürre Worte es auszudrücken vermögen; b) die Midbar-Schafe gehören zu einer eher kleinen Rasse; c) es stimmt nicht.
2. Warum brachte der panisch durch die miesen Sichtverhältnisse stakende Isostar sein Boot nicht zum Kentern oder setzte es zumindest auf Grund? Antwort: er hatte unwahrscheinliches Glück.
3. Welch grässlichem Wasserwesen fielen der Schäfer, Kiden und Rus zum Opfer? Wenn wir Optionen wie Wassersaurier, Alligatoren oder riesige Sumpfschildkröten ausschließen und menschenfressende Raubfische wie Hecht oder Forelle ins Reich der Fabel verweisen wollen, bleibt uns eigentlich nur eine denkbare Möglichkeit, nämlich einer der größten mitteleuropäischen Fische, der Wels (Silurus glanis). Volkstümlich auch Waller, Weller, Schaden oder Schaid genannt, zieht der bis zu drei Metern lange und zweihundertfünfzig Kilogramm schwere Raubfisch und Aasfresser laut Plinius sogar Pferde unter Wasser.
5. Woher kommt Isostars plötzliche Abneigung Schafen gegenüber? Isostars Boot war ursprünglich neben Kambir und dem Schäfer mit einem Widder und fünf Schafen besetzt, denn diese Tiere bildeten in Midbar zwar nicht mehr wie in ältester Zeit die Wirtschaftsgrundlage, hatten aber – ganz abgesehen von der religiösen Bedeutung – neben Fischerei, Jagd und Landwirtschaft nach wie vor einen gewissen Stellenwert. Schafe gelten für gewöhnlich als eher ruhige Tiere, doch ohne Futter neigen selbst ausgesprochen lethargische Vertreter dieser Gattung zu exzessivem Klagen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich sämtliche Lebensmittelvorräte in Lures Boot befunden hatten, was die Ernährungslage nach dessen Kentern recht einseitig machte. Das ständige Geblöke und der ausschließliche Verzehr von Schafmilch hatten das Fass einundvierzig Stunden nach Aufkommen des Nebels zum Überlaufen gebracht.

 

Abschnitt II – Worin es keine Fische gibt und dennoch Hoffnung keimt

Cornbrant ap MidbarNach einigen Minuten kam Isostar gerade rechtzeitig zu sich, um beobachten zu können, wie Lure dem letzten der gefesselten Schafe (es war eine Heidenarbeit gewesen, sie auf diese Art ruhig zu stellen, aber die hungrigen Tiere wären anderenfalls über Bord gesprungen) einen Knebel anlegte.
"So, jetzt ist endlich Ruhe."
Aha! Hörte Isostar da etwa Schuldbewusstsein in der Stimme seiner Waffenmeisterin? Für seinen Geschmack war ihr Auftreten ihm gegenüber bisher eindeutig zu selbstsicher gewesen, und jetzt hatte sie sogar Hand an ihn gelegt! Tatsächlich, sie vermied es, ihm in die Augen zu schauen. Isostar frohlockte.
"Lure!"
"Ja?"
"Es heißt "Ja, Herr"! Du hast dich gegen deinen Fürsten vergangen! In Anbetracht der schwierigen Lage werde ich mir jedoch lediglich eine gelinde Strafe gegen dich vorbehalten. Jetzt habe ich Hunger! Es wird hier doch wohl Fische geben!"
"Aber der Köder ..."
"Was?!"
"Wir haben keinen, und ..."
"Lass dir etwas einfallen. Du bist meine Waffenmeisterin!"
Was für ein Arschloch! dachte Lure und versuchte ein Büschel Wolle auf den Angelhaken zu stecken, den sie aus einem Ohrring improvisiert hatte. Dem war offensichtlich der Kleinerbe zu Kopf gestiegen. Spielte sich als edler Fürst auf und ließ sie die ganze Arbeit machen. Hätte sie seiner Mutter nicht geschworen ... na ja, immer noch besser, als im Sumpf ertränkt zu werden. Aber so wie es aussah, war der Hohe und Großmächtige Herr Isostar um keinen Deut besser als seine blöden Büder.

Es gab hier keine Fische.
Oder sie mochten keine Wolle.
Isostar schmollte ein Weilchen, bis ihm das Knurren seines Magens peinlich wurde.
"So gib mir im Namen des Gehörnten noch etwas von der Milch."
"Wir haben kein Gefäß mehr. Die Schale ist ins Wasser gefallen als ... äh, vorhin."
Zu Lures großer Überraschung blieb der erwartete Wutanfall aus. Stattdessen starrte Isostar wie gebannt in die graue Luft über ihrer linken Schulter.
"Da! Die Sonne!"
Aller Zwist war dermalen vergessen, denn die fahle Scheibe des Tagesgestirns kämpfte sich durch den Nebel, und neue Hoffnung keimte in den Herzen von Isothronds Sohn und seiner getreuen Waffenmeisterin, und selbst die Schafe verdrehten die Augen, schnaubten froh und scharrten freudig mit den gebundenen Hufen.
"Wo sind wir?"
Sie hatten offensichtlich das schmale östliche Becken des Oberen Oder Unbekannten Sees mit seinen unzähligen Inseln und tückischen Untiefen hinter sich gelassen und trieben nun auf der offenen Wasserfläche eines Sees, der in einer weiten Sumpfebene lag. Direkt vor ihnen aber ragte ein Berg hoch über das Riedland.

 

Abschnitt III – Worin sich Isostar endlich am Ziel wähnt

Cornbrant ap MidbarObwohl das Boot dreißig Fuß vom Ufer entfernt im schlammigen Grund stecken blieb, gelang es Isostar und Lure mitsamt ihren Tieren unbehelligt festen Boden zu erreichen, wobei darauf verzichtet werden soll, die alberne Episode mit dem treibenden Baumstamm zu kolportieren.
Sie bauten ihr Haus an den fruchtbaren Hängen des Berges, der am Ostufer des Sees inmitten der Sümpfe lag und nur im Nordosten durch eine schmale Landbrücke mit den umliegenden Höhen verbunden war, welche die Ebene säumten.
Sie jagten Eichkatzen und Fasane oder nahmen Nester aus. An Tagen mit guter Sicht – denn immer wieder lag Nebel über der Ebene, aus dem einzig die Sumpfinsel herausragte – wagte sich Lure hinunter zum Wasser, um zu fischen, doch Isostar quälten Alpträume von menschenfressenden Wasserwesen, die in den seichten Ufergewässern auf Beute lauerten.

Drei Wochen nach ihrer Ankunft am Berg, der Frühling war schon weit vorangeschritten, fiel Lure auf, dass der Widder verschwunden war.
"Ich werde ihn suchen", sagte Isostar, schulterte sein Schwert und ging los.
Er fand den Bock auf einer kleinen Lichtung unweit des bewaldeten Gipfels. Hier lag das Tier, beziehungsweise was davon übrig war, umsummt von allerlei Insekten, im Sonnenschein. Der Gedanke, dass der Bock die Beute eines Raubtieres geworden sein mußte, wollte sich gerade einstellen, als Isostar hinter sich ein höchst unerfreuliches Geräusch hörte: eine Art schmieriges Keuchen, schleimiges Schaben und wabbriges Flappen.
Seine Nackenhaare stellten sich auf.
Unendlich langsam hob er sein riesiges Schwert.
Blitzschnell drehte er sich um.
Dann verlor er das Bewußtsein.
Als er wieder zu sich kam, lag er auf seinem Binsenlager. Am Herd machte sich Lure an einem Kessel mit Birkhuhnbrühe zu schaffen.
Sie hatte ihn am Abend gefunden und unter dem stinkenden Lappen hervorgezogen, der ihn bedeckte.
"Ein Drache!"
"Was?!"
Isostar wollte sich aufrichten. Mit einem Schmerzensschrei fiel er zurück. Jeder Knochen in seinem Leib schien gebrochen zu sein.
"Ja", bestätigte die Waffenmeisterin, und in ihren Augen irrlichtete es. "Du hast einen Drachen erlegt. Ich habe auf Brantenburg Bilder gesehen, als ich zur letzte Sonnenbock-Feier dort war."
Es stimmte tatsächlich: ein schmutzig-weißer, entsetzlich magerer Drache war es, der so alt aussah wie die Türme von Brinnentrutz. Das hatte Isostar vermutlich das Leben gerettet, denn normalerweise verfügen Drachen über ungemein scharfe Sinne, doch dieses bejahrte Exemplar war schon fast blind gewesen, hatte Isostar angesprungen und sich "Das Paddel" durch den Rachen viereinhalb Fuß tief in den spindeldürren Leib getrieben.
Staunend stand Isostar am übernächsten Tag mit Lure vor dem Kadaver. Und Lure war es, die Isostar alle Demütigungen seiner Kindheit, die Strapazen der Fahrt und Ängste der letzten Tage vergessen ließ: Sie kniete nieder: "Ich grüße dich, Herr des Drachenlandes, und bezeuge deinen Namen, Isostar ap Linth. Ich, Lure Loelstochter von Turgenien, gelobe dir Treue und Gefolgschaft im Namen des Gehörnten."
Aufs Angenehmste berührt hieß der frischgebackene Herr von Linth seine Waffenmeisterin aufstehen, und in gehobener Stimmung kehrten beide nach Hause zurück, wo Lure ihrem Fürsten nach erheblichem Brantweingenuß das Bild des weißen Drachen in die Brust stach.
Der Schädel des unglücklichen Widders wurde über die Tür genagelt, und aus der Drachenhaut fertigte Isostar das Banner von Linth.up