Die Legende
von
Cornbrant ap Midbar



Prolog

Das Wappen von Midbar

Der Kleinerbe

Isostar ap Linth

Der Großfürst

Dolomit Tren Keer

Caradurs Feuergang

Brinnentrutz

STIFTENBRANTS TOD

Das Banner von Turgenien

Die Glatte Ebene

Arynmon

Auf "Großer Fahrt"

Lure Ogertod

Operation Wildschwein




Index

Stammbaum

Zeittafeln



"Die Legende von Cornbrant ap Midbar" und die darin geschilderten fiktiven Personen, Orte und Begebenheiten sind mein geistiges Eigentum, sofern es sich dabei nicht um Begriffe aus dem kollektiven Unterbewusstsein der Menschheit, ihrem reichen Kulturschatz oder gar der Unterhaltungsindustrie handelt. Besonders auf solche letzterer Provenienz erhebe ich selbstredend keinerlei Ansprüche, gell?

Hamburg, 2008

 
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  Cornbrant ap Midbar

Abschnitt I – Worin schlimme Nachrichten überbracht werden

Cornbrant ap MidbarMit dem Tod Stiftenbrants und der Zerstörung Eibenhofs beginnt der Abstieg Midbars – also der Herrschaft der Brantinger. Das Geschlecht beginnt auszusterben; im Süden weitet Lymanien seinen Einfluss bis in die Sümpfe von Morigon aus, also praktisch bis vor die Haustür der Brantenburg; im Nordosten und Osten sind es die wachsenden Territorial-Ansprüche von Turgenien und Lichterburg sowie deren Kleinerben, die Midbars Ausdehnung entgegenstehen; im Nordwesten erheben sich die Rechtsberge und jenseits davon liegt Caragon.

Das Jahr 584 gilt als das schwärzeste in den Annalen Midbars seit den Tagen des II. Caragonischen Krieges: An einem Frühsommerabend findet man unweit der Branter Mauer am Oberlauf der Branter Aa den entstellten Leichnam von Stiftenbrant, Großkönig von Midbar. Und wenn es auch undenkbar scheint, dass menschliche Wesen dermaßen zu wüten vermögen, so schlagen doch weder Wolf noch Bär noch Auerochs solche Wunden.

Ganz Midbar trauert, und zu den Beisetzungsfeierlichkeiten reisen die Großen des ganzen Reiches herbei: Gautthrond und Isosthrond von Turgenien, Gautherm von Lichterburg, Seekönigin Rhudward aus dem fernen Abregon, die ehrfurchtgebietende Rosadur, Herrin von Brinnentrutz, mit ihrer Großerbin Megorindur. Und als letzte auch Rhedruvin ap Lymanien und seine Cousine Osselgrom; doch bringen diese neue Schreckensnachricht: Eibenhof ist nicht mehr! Eine Handvoll Überlebender berichtete von Trommeln in der Nacht und von grässlichen Wesen im Zwielicht der Morgendämmerung und von düsteren Gesängen.
"Gesänge?!"
Scharf klang die Frage aus dem Munde Rosadurs.
"Was für Gesänge?!"
Rhedruvin zuckte mit den Schultern.
"Gesänge, sagen sie. Ich weiss nicht. Wir können die Feuerhüterin rufen lassen, sie scheint mir noch am ehesten bei klarem Verstand. Die andern Eibenhöfler sind kaum zu einer Aussage fähig."
"Unnötig! Lest Ihr nicht die Schriften Eurer Mutter? Hat sie Euch so wenig beigebracht?"
Rhedruvin fuhr auf: "Bei allem Respekt ..!"
Doch Rosadur unterbrach den Lymanier mit einer Handbewegung.
"Brennevin ap Lymanien hat die Geschichte des Ersten Caragonischen Krieges in den Worten Gautbrants niedergeschrieben. Und dieser hörte sie von Burgindur selbst!"
Erwartungsvolles Schweigen. Nur Burgingroms Tochter schien zu dämmern, worauf die Herrin von Brinnentrutz hinaus wollte: langsam weiteten sich ihre Augen.
"Burgindur ap Caragon! Sie hat sie noch mit eigenen Ohren vernommen, als sie auf den Zinnen Balaforts Wache stand in jenen Nächten des Jahres 502! Die Trommeln und Gesänge der Feinde aus den Wäldern – der Wilden Sänger!"

 

Abschnitt II – Worin es zu allerhand Querelen kommt

Cornbrant ap MidbarUnd jetzt, liebe Leserinnen und Leser, stellen Sie sich folgendes vor: Kaum hatte Rosadur diese bedeutungsschweren Worte gesprochen und sich dabei von ihrem hochlehnigen Stuhl erhoben, da brach der kupferne Haken, mit dem die große Kriegsharfe von Brantenburg an der Wand zwischen den beiden Südfenstern befestigt war, aus dem Gemäuer, und mit ohrenbetäubendem Missklang zerschellte das schwere Instrument auf dem Boden.
"Himmel, Arsch und Zwirn!" entfuhr es Sturtbrant. (Die ersten Worte übrigens, die man von ihm vernahm, seit Stiftenbrants Leiche zu seinen Füßen niedergelegt worden war.)
Alle lachten.
Alle, bis auf Rosadur und Megorindur. Jene stand erstarrt da und hatte die Augen geschlossen – vermutlich zählte sie in Gedanken grade bis zehn. Ihre Tochter aber – obgleich in der Blüte ihrer Jahre, eine kränklich wirkende, fahrige Frau – war von ihrem Sitz aufgesprungen, hatte dabei einen Dolch gezückt und sah wild um sich. Ihr Wams klaffte weit auf, und man sah über ihrer linken Brust das alte Symbol Caragons prangen: den vom Hirtenstab durchbohrten Basilisken.
Gautthrond fasste sich als erste wieder: "Verzeiht, Rosadur ap Caragon , aber: die Wilden Sänger? Seit jenen Tagen sind sie nicht mehr gehört worden."
Rhudward räusperte sich: "Im Gefolge des Roten Schwanes sollen auch Wilde Sänger gewesen sein."
"Der Aufrührerin steht dieser Name nicht zu!" zeterte Megorindur los. "Nennt sie Blutkrähe, nennt sie ..."
Begütigend legte Rosadur ihrer Tochter die Hand auf den Dolch-Arm und sagte dann, mit finsterem Gesicht:
"So ist es, Seekönigin."
Isosthrond verzog zweifelnd den Mund und wechselte einen kurzen Blick mit ihrem Zwillingsbruder Gautherm, der lächelnd den Kopf neigte. Doch das entging Rosadur nicht.
"Ihr zweifelt, junger Herr von Lichterburg? Und Ihr, Turgenische Edle? So nehmt mein Wort: Auch ich vernahm sie einst, die unmenschlichen Gesänge, von jenseits der Schanzen und Wallgräben. Und glaubt mir: ich hoffe sie nie wieder zu hören!"
Da erhob sich Sturtbrant:
"Hört Ihr Edlen, hört Caragon, hört Lymanien, hört Turgenien, Osselburg und Lichterburg. Und auch Ihr, Schwester Seekönigin!  Der Fürst von Midbar ist gefallen, niedergestreckt von unbekannter Hand! Und ausgelöscht ist die Herrschaft Eibenhof! Gefahr ist in Verzug und Verhängnis droht! Ich, Regent von Groß-Midbar" – an dieser Stelle wurde Megorindur noch blasser als gewöhnlich, und in Rosadurs Augen blitzte ein kurzes, heisses Leuchten; doch sie lächelte – "rufe euch auf zur Einigkeit wie es die uralten Regeln fordern."
Hier hielt Sturtbrant, Gautbrants Sohn, inne. Er rieb sich das graustoppelige Kinn und fuhr dann weit unpathetischer fort:
"Wenn wir davon ausgehen, dass es nicht die Wilden Sänger waren, stehen wir vor einem weitaus größeren Problem: Wir haben einen Gegner, der es wagt, die vereinten Familien herauszufordern – doch wir kennen ihn nicht."

 

Abschnitt III – Worin der Preis der Macht genannt wird

Cornbrant ap MidbarNach zwei Stunden wilder Spekulationen, wohlgemeinter aber unnützer Ratschläge und gehässiger gegenseitiger Anfeindungen hob Sturtbrant den Rat schließlich auf, indem er der Hoffnung Ausdruck verlieh, der kommende Tag werde mehr Klarheit bringen. Dann bat er Rosadur zu einem Gespräch unter vier Augen in seine Privatgemächer.

Kaum war die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, riss Sturtbrant das Schwert aus der Scheide, setzte es Rosadur an den Hals und drängte sie gegen die Wand. Seine Stimme war heiser vor Wut:
"Eine großartige Vorstellung, ich bin sicher, selbst Eure Tochter glaubt an die Geschichte!"
"Sturtbrant!" Rosadurs Selbstbeherrschung war bemerkenswert, ihre Stimme klang ledlichlich etwas gepresst (was allerdings dem Umstand geschuldet sein mag, dass eine Schwertschneide gegen ihre Kehle gedrückt wurde). "Was fällt Euch ein!"
Der Herr von Brantenburg lachte höhnisch auf: "Ha! Wilde Sänger! Dass ich nicht lache! Diese Untat trägt Eure Handschrift!"
"Nehmt das Schwert weg! Das ist doch lächerlich!"
"Lächerlich? Sechs Dutzend Tote sind lächerlich?!"
An Sturtbrants Stirn trat eine Ader hervor. Sein Gesicht nur wenige Zoll von dem ihren entfernt zischte er: "Und wofür? Ist sie Euch soviel wert, die Macht?"
Rosadur hob wie entschuldigend die Schultern.
"Nun ..."
"Und auch das Wesen, dem Stiftenbrant zum Opfer fiel, stand doch in Euren Diensten!"
"Absurd! Wie sollte es möglich sein, einen Oger zu dingen?"
Unvermittelt ließ der Großkönig von Rosadur ab und trat zwei Schritte zurück; mit der Schwertspitze zielte er nun auf ihr Herz, seine Stimme klang unnatürlich ruhig.
"Dann ist es also wahr! Nur dem alten Fährmann und mir ist bekannt, welch Wesen solche Wunden schlagen kann."
Zum erstenmal zeigte Rosadur eine gewisse Unsicherheit, ihr war soeben ein Anfängerfehler unterlaufen.
"Er hat es herumerzählt."
"Er ist stumm."
"Man ..."
"Was seid Ihr bloß für ein Mensch?"
Die Herrin von Brinnentrutz hatte sich jetzt wieder voll in der Gewalt: "Ich bin Rosadur ap Caragon, Erbin von Caradur, Stamm-Mutter der Edlen Familie! Gebt mir meinen Thron zurück!"
"Ihr wisst, das kann ich nicht: Das Reich würde daran zerbrechen!"
"Dann seht euer Geschlecht erlöschen, Sturtbrant. Und wenn Ihr als letzter dahingegangen seid, werden die Familien dem Haus Dur seine alten Rechte nicht länger verweigern können."
"Das ist doch Unsinn, Rosadur! Die Zeiten sind längst vorbei! Lymanien wird niemals wieder Caragon über sich dulden, und auch Turgenien hat seine eigenen Pläne!"
"Wir werden sehen ..."
Da schleuderte Sturtbrant sein Schwert fort und fiel vor Rosadur auf die Knie.
"Verschont wenigstens den Jungen."
Einen Augenblick schien es, als wollte Rosadur seine Wange berühren, doch sie ließ die Hand sinken.
"Verschont ihn."
Rosadur lächelte, dann fragte sie: "Steht die alte Weide noch unten am Fluß?"
"Das Hochwasser hat sie mitgenommen, schon vor acht Jahren."
"Im Licht der Abendsonne schien sie zu brennen ..."
"Bitte."
Brüsk wandte sich Rosadur von dem Knieenden ab: "Er wird der letzte seines Geschlechtes sein. Ein kleiner Eingriff nur. Er wird sich nicht daran erinnern."
Dann ging sie zur Tür.
"Rosadur!"up
Die Herrin von Caragon blieb stehen: "Pass gut auf ihn auf, ich werde es nicht tun", und verließ den Raum.