Die Legende
von
Cornbrant ap Midbar



Prolog

Das Wappen von Midbar

Der Kleinerbe

Isostar ap Linth

Der Großfürst

Dolomit Tren Keer

Caradurs Feuergang

Brinnentrutz

Stiftenbrants Tod

Das Banner von Turgenien

DIE GLATTE EBENE

Arynmon

Auf "Großer Fahrt"

Lure Ogertod

Operation Wildschwein




Index

Stammbaum

Zeittafeln



"Die Legende von Cornbrant ap Midbar" und die darin geschilderten fiktiven Personen, Orte und Begebenheiten sind mein geistiges Eigentum, sofern es sich dabei nicht um Begriffe aus dem kollektiven Unterbewusstsein der Menschheit, ihrem reichen Kulturschatz oder gar der Unterhaltungsindustrie handelt. Besonders auf solche letzterer Provenienz erhebe ich selbstredend keinerlei Ansprüche, gell?

Hamburg, 2008

 
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  Cornbrant ap Midbar

Abschnitt I – Worin es wie auf einem Kindergeburtstag losgeht

Cornbrant ap MidbarIn der hitzeflimmernden Luft ist es nur schwer auszumachen: ganz hinten, da wo die Fettwiesen schon in Hasel und Brombeer übergehen ehe sich der sanfte Hang allmählich zum Riedland der Glatten Ebene hinabneigt, bewegt sich etwas; eine menschliche Gestalt womöglich, wenngleich sie gebückt geht, schleppend und langsam. Jetzt verharrt sie, richtet sich auf. Ja, es ist ein Mensch.
Er fällt und bleibt reglos liegen.
Von den Hornsignalen der Nordweiden-Wache alarmiert findet eine Schar turgenischer Bewaffneter den schlamm- und blutverkrusteten Körper von Lure, der Tochter ihres Befehlshabers Loel, die besinnungslos in der glühenden Nachmittagssonne jenes Hochsommertages des Jahres 601 liegt.

Sechs Tage zuvor war ihre Gruppe in die Glatte Ebene aufgebrochen; auf Nord-Streife, wie das genannt wird, mit dem Auftrag, die nördlichen Grenzgebiete Turgeniens zu kontrollieren.
Lure wird in die Stadt hinunter geschafft, wo sie achtundvierzig Stunden zwischen Leben und Tod schwebt. Eilends ausgesandte Spähern melden, dass der Rest ihrer Gruppe und auch die Besatzung der Glattwässer-Brücke tot oder verschollen sei – "als hätte sie der Sumpf verschluckt"; vermutlich seien sie jenem Unhold zum Opfer gefallen, dessen Leiche sie im Riedland gefunden hätten: einem Oger!
Bei den Alten werden Erinnerungen wach an die schlimmen Jahre 561/562, als jenseits des Müden Gebirges das junge Osselburg um sein Überleben kämpfte. Turgenien ist in höchster Alarmbereitschaft.
Am dritten Tag kommt Lure endlich zu sich und wird vernommen:
"Unser Sechsertrupp unter Führung von Korporal Narden hat den Auftrag gehabt, die nördliche Grenzgebiete zu sichern. Der Korporal und drei unserer Leute haben das schon oft gemacht; wir anderen, also ich und der junge Gilhulen, waren aber das erste Mal dabei. Die Sommer-Patrouille ist ja eigentlich Routine. Wir haben aber natürlich auch die Gerüchte gehört, dass in den Wintermonaten Fremde gesehen worden sind. Deshalb waren alle etwas aufgeregt, jedenfalls wir Neulinge. Narden ... der Korporal ... ist aber ganz ruhig gewesen ... wie sonst auch immer."
"Wann seid ihr aufgebrochen?"
"Wir sind bei leichtem Regen kurz nach Mitternacht losmarschiert."
"Und wohin?"
"Auf der Oberen Straße zu den Waldgärten, und dann sind wir am Waldrand weiter bis zum Einhornturm; dort haben wir dann gewartet, bis es die Sonne aufgegangen ist. Dann sind wir hinunter ins Ried. Der Korporal hat uns zuerst nordwärts geführt, zu den Glattwässern und dann westwärts, da verläuft ein schmaler Pfad auf halbwegs festem Boden. Das war die befohlene Route. Es hat immer stärker angefangen zu regnen, gleichzeitig war es auch sehr warm. Deswegen sind wir nicht so gut vorwärts gekommen; einmal machte Gilhulen einen falschen Schritt und ist bis über die Hüften im Sumpf versackt; aber die Gefreite Madhir hat ihn schnell rausgezogen und dabei noch so Sprüche gemacht mit den anderen Altgedienten ... das waren Rille und Bunien ... dem seine Eltern sind ursprünglich glaube ich aus Achttüren. Er ist aber hier geboren, ein ziemlicher Witzbold. Ich kann ihn gut leiden ... "
(L. schweigt)
"Was sagte Madhir?"
"Also, die Gefreite sagte zu ihm, dass das ja ein Kindergeburtstag sei im Vergleich zu vor vier Jahren. Und Rille hat uns dann erzählt, wie sie damals bis zum Hals im Sumpf gesteckt haben, aber das wäre immer noch besser als die Mückenplage zwei Jahre davor, und dass wir Neuen dabei wahrscheinlich eingegangen wären. (L. lächelt) Solche Sachen eben. Bunien hat zum Beispiel zu uns gesagt: Ihr seid ja wohl grade auf der Nudelsuppe hergeschwommen! Den Spruch habe ich vorher noch nie gehört ... sogar Narden hat gelacht."
"Und sonst?"
"Sonst ist nichts passiert."
(L. nimmt einen Schluck Wasser)
"Wir haben nichts ungewöhnliches gesehen. Gegen Abend haben wir am Rand einer kleinen Baumgruppe biwakiert, da gibt es einen Unterstand mit einer Feuerstelle. Der Korporal hat die Wachen eingeteilt, Madhir bekam die erste Wache, ich die zweite. Als letzter war Bunien dran. Während meiner Wache ist immer noch nichts passiert. Es hat aber inzwischen wie aus Eimern geregnet. Am nächsten Abend sind wir zur Glattwässer-Brücke gekommen. Und da hat es dann angefangen ..."
(L. schweigt)
"Was fing an?"
"Alles. Die Tür des Wachhauses hing schief in den Angeln, der Sperr-Riegel war glatt durchgebrochen. Drinnen war alles kaputt und voller Blut. Die Brücken-Besatzung war verschwunden, vier Leute. Narden hat uns sofort in drei Gruppen aufgeteilt: Bunien und Rille mussten dableiben, die andern beiden Gruppen sollten die Gegend absuchen. Ich bin mit dem Korporal gegangen. Es hat immer noch sehr stark geregnet, und weil die Sonne grade untergegangen ist, haben wir bald überhaupt nichts mehr gesehen. Narden hat dann gesagt, dass wir wieder zurückgehen sollen. Gilhulen war auch schon wieder da, aber allein. Er hat immer nur geschluchzt ... er konnte überhaupt nichts sagen; Bunien hat wohl schon versucht, aus ihm rauszukriegen, was mit Madhir passiert ist; aber der Korporal hat auch kein Glück gehabt: Gilhulen war völlig fertig und hat nur am ganzen Körper gezittert. Sie haben ihm dann einen Trank eingeflößt, aber er hat immer weiter gewimmert und auch mal um sich geschlagen, die ganze Nacht durch, glaube ich. Rille und Bunien haben die Tür notdürftig verrammelt. Narden hat wohl auch wieder Wachen eingeteilt, ich weiss nicht mehr, aber wir waren alle die ganze Nacht wach. Der Regen hat aufs Dach getrommelt. Und bei Sonnenaufgang hat der Korporal Rille nach Turgenien zurück geschickt."
(L. blickt den Vernehmungsoffizier fragend an, dieser schüttelt den Kopf)
"Rille hat mich noch angelächelt und Bunien auf den Rücken geklopft. Dann ist sie gegangen."

 

Abschnitt II – Worin es aufhört zu regnen

Cornbrant ap MidbarVon dieser Stelle an wird Lures Bericht ziemlich wirr und lückenhaft. Narden scheint sich im Laufe des Vormittags auf die Suche nach der verschwundenen Gefreiten gemacht zu haben und hat anscheinend Hinweise auf ihren Verbleib gefunden: "Narden ist nach etwa zwei Stunden wiedergekommen und hat gesagt, er hat Madhir gefunden. Und dann hat er gekotzt. Einfach so." Davon abgesehen berichtet Lure vom dritten Tag nur noch, dass der starke Regen endlich aufgehört hätte.
In der Morgendämmerung des folgenden Tages wird die Brückenwache erneut angegriffen und der Rest von Lures Gruppe getötet. Weshalb sie entkommen kann, bleibt unklar, sie will zu diesem Zeitpunkt an der Uferböschung gewesen sein – eventuell war sie einfach nur austreten. Was sie nach ihrer Rückkehr zum Wachhaus vorfindet, muss für die unerfahrene Rekrutin ein Alptraum gewesen sein: "Bunien (...) war ... wie verknotet, alles war verdreht ... die Beine und Arme standen ganz komisch ab. Und Narden hat direkt auf der Türschwelle gelegen. Ohne Kopf (...) Ich habe ihn zuerst auch nirgends gefunden, seinen Kopf. (...) Gilhulen war verschwunden. Da (...) war nur noch eine große Pfütze Blut." Sie flieht, erstaunlicherweise noch geistesgegenwärtig genug, ihre Waffen mitzunehmen, kommt aber offenbar vom direkten Pfad nach Süden ab und muss schließlich feststellen, dass sie von einem menschenähnlichen Wesen verfolgt wird, das ihr den Rückweg verstellt. So glauben jedenfalls die Späher, welche im Westen der Glatten Ebene, jenseits der Katzenseen, auf entsprechende Spuren gestossen sind.
Lure setzt vorerst ihre Flucht fort, bis sie sich dann doch ihrem Verfolger stellt. Es mag eine Mischung aus Angst, Verzweiflung und Wut (ihre verhältnismäßig detaillierte Schilderung Buniens lässt vermuten, dass sie für diesen eine starke Zuneigung hegte) gewesen sein, die sie zu diesem Schritt bewogen hat. Außerdem muss ihr irgendwann klar geworden sein, dass sie nach Einbruch der Dunkelheit nicht weitergehen konnte ohne Gefahr zu laufen, im Sumpf zu ertrinken, und ein Kampf somit unausweichlich war.

Was nun folgt, ist weniger ein offener Schlagabtausch als ein gewalttätiges Katz-und-Maus-Spiel, in dessen Verlauf die Gegner mehrmals die Rollen tauschen um sich abwechselnd zu belauern, durch den Morast zu jagen und aus dem Hinterhalt zu attackieren. Und auch wenn der Oger durch eine Speerwunde, die ihm Narden im Brückenhaus beigebracht hatte, ziemlich gehandicapt war, ist es dennoch bemerkenswert, dass es Lure überhaupt gelungen ist, nur schon den ersten Zusammenstoss zu überleben und den Unhold zu guter Letzt irgendwann um die Mittagszeit des folgenden Tages sogar zu erschlagen – äußerst bemerkenswert, in der Tat.
Dass sie es daraufhin – zu Tode erschöpft – auch noch schafft, die Nordweide zu erreichen, kann kaum hoch genug bewertet werden: eine Meisterleistung an Durchhaltewille und Orientierungsvermögen.
General Loel jedenfalls macht seine Tochter flugs zur stellvertretenden Waffenmeisterin und somit zu seiner designierten Nachfolgerin; eine Entscheidung, die von Fürstin Isosthrond ohne weiteres abgenickt wird.

 

Abschnitt III – Worin der Ring (!) auftaucht

Cornbrant ap Midbar Lures Sachen wanderten – verschlissen, zerfetzt und porentief verschmutzt wie sie waren – größtenteils auf den Müll. Ihre persönliche Habschaft aber wurden gewissenhaft verwahrt und ihr ausgehändigt, als sie am siebenten Tag nach ihrer Rückkehr das Krankenlager wieder verlassen durfte: ein paar Münzen, etwas Schmuck, ihr Messer (schartig zwar, aber frisch poliert) und verschiedene Pergament-Stücke; nichts außergewöhnliches dabei bis auf einen wertvoll aussehenden Ring, den sich die Oger-Töterin grade an den Finger steckte, als der Hausknecht einen Boten der Fürstin meldete. Dieser befahl sie mit barschen Worten hinauf zum Lindenhof, dem Sitz der Herrin, "und zwar umgehend".
Beklommen machte sich Lure auf den Weg, passierte die arroganten Torwächter und betrat den großen Saal, wo zu ihrer Überraschung der ganze Hofstaat versammelt war und wohlwollend applaudierte; ihr Vater – jovial lächelnd im vollen Ornat des Obersten Waffenmeisters und General-Kommandanten der Turgenischen Streitkräfte – führte sie vor den Hochsitz der Fürstin, und die Fürstin ... ja, sie erhob sich und neigte leicht den Kopf: "Ich grüße dich, Lure Loelstochter, und freue mich, dich wieder bei Kräften zu sehen."
Daraufhin durfte sich die verdutzte Ex-Rekrutin auf einen Hocker setzen – erst nachdem sich Isosthrond wieder auf ihrem Thron niedergelassen hatte natürlich – und die Herrin von Turgenien hob zu einer weitschweifigen Laudatio an, worin von großer Gefahr, Opferbereitschaft und dem Ruhm des Reiches die Rede war.
Isosthrond war eine gefürchtete Rednerin. Von Natur aus zu Monologen neigend und mit einem fatalen Hang zu Anakoluthen, Ellipsen und Katachresen redete sie ohne Punkt und Komma zehn Minuten lang, bis ihr Blick auf Lures Ring fiel. Sie geriet für einen Moment ins Stocken, beendete ihre Ansprache dann verhältnismäßig zügig nach nicht einmal zehn weiteren Minuten, klatschte dreimal in die Hände, ein Tusch ertönte, Loel überreichte seiner Tochter die Beförderungs-Urkunde, und dann erklärte die Fürstin die Ehrung für beendet und ließ ihre Leibwachen das Publikum hinausscheuchen.
"Du nicht!" herrschte sie jedoch Lure an, als diese sich dem Strom der Entlassenen anschließen wollte. "Ich habe noch mit dir zu reden."
Und als sich der Thronsaal endlich geleert hatte, verlangte die Fürstin ein Blick auf den Ring zu werfen.
"Wie kommt dies Schmuckstück in deinen Besitz?" frug sie barsch, und eingeschüchtert erzählte die junge Frau, dass dieser Ring vom verdorrten Finger einer abgeschlagenen Hand stammte, welche der Unhold neben weiteren grausigen Trophäen bei sich getragen hätte.
"Ich nahm ihn als Siegesbeute!"
Etwas wie Trotz lag in diesen Worten.
Isosthrond sah Lure scharf prüfend an, dann lächelte sie fein und sagte, dass das schon in Ordnung wäre, allerdings sei dies ein ganz besonderes Geschmeide:
"Diesen Ring trugen seit je her die Herren von Brantenburg und zuletzt Stiftenbrant, mein Vetter, der einem bösen Schicksal erlag."
Da machte Lure große Augen: Brantenburg! Der Ring der Großfürsten von Midbar! Natürlich kannte sie die Geschichte von Stiftenbrants Tod, der grausam ermordet und verstümmelt worden war, ohne dass seine Mörder je gefasst werden konnten. Ihre Gedanken überschlugen sich. Und Isosthrond wartete geduldig.
"Aber ... das würde bedeuten ... meint Ihr etwa ... ?"
Und wieder lächelte die Herrin: "Du bist nicht nur mutig und wehrhaft sondern auch äußerst scharfsinnig. Dein Vater tat recht, dich zu seiner Stellvertreterin und Nachfolgerin zu ernennen. In der Tat hast du das große Rätsel unseres Zeitalters gelöst: Wer meuchelte Stiftenbrant!"up