Die Legende
von
Cornbrant ap Midbar



Prolog

Das Wappen von Midbar

Der Kleinerbe

Isostar ap Linth

Der Großfürst

Dolomit Tren Keer

Caradurs Feuergang

Brinnentrutz

Stiftenbrants Tod

Das Banner von Turgenien

Die Glatte Ebene

Arynmon

Auf "Großer Fahrt"

LURE OGERTOD

Operation Wildschwein




Index

Stammbaum

Zeittafeln



"Die Legende von Cornbrant ap Midbar" und die darin geschilderten fiktiven Personen, Orte und Begebenheiten sind mein geistiges Eigentum, sofern es sich dabei nicht um Begriffe aus dem kollektiven Unterbewusstsein der Menschheit, ihrem reichen Kulturschatz oder gar der Unterhaltungsindustrie handelt. Besonders auf solche letzterer Provenienz erhebe ich selbstredend keinerlei Ansprüche, gell?

Hamburg, 2008

 
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  Cornbrant ap Midbar

Abschnitt I – Worin Lure etwas vergessen hat

Cornbrant ap MidbarNachdem Lure den Oger Gorbatsch erschlagen hatte, nahm sie zwei Dinge von seinem Leichnam: Einen wertvoll aussehenden Ring und ein Stück Pergament. Was es mit dem Ring auf sich hatte, wird im dritten Abschnitt des Kapitels "Die Glatte Ebene" geschildert. Das Schriftstück allerdings, achtlos zwischen die Seiten ihres Soldbuches geschoben, geriet in Vergessenheit, bis Loels Tochter ihre Papiere zwecks Stempelung und Neu-Siegelung nun endlich doch mal bei der Militärregistratur einreichen wollte – ein eigentlich völlig überflüssiges Prozedere, wenn man bedenkt, dass die turgenischen Streitkräfte damals aus kaum mehr als einhundert Angehörigen bestanden; aber: Was sein muss, muss sein!
Jedenfalls fiel Lure das zerknitterte und mehrfach gefaltete Blatt erst acht Wochen nach ihrer Rückkehr aus dem Riedland wieder in die Hände. Achtlos legte sie es beiseite, sie war spät dran: kurzfristig war eine Konferenz auf höchster Ebene anberaumt worden, und den Ämtergang musste sie vorher noch erledigen, denn die Registratur hatte sie bereits mehrmals angemahnt und mit der Verhängung eines Bußgeldes gedroht.
Die Konferenz dauerte länger als befürchtet: Hauptthema war die angekündigte Untersuchungskommission aus Brantenburg, die Beweise sichten und abschließend im Mordfall Stiftenbrant ermitteln sollte – ein unsinniges Unterfangen, denn der Oger war längst verfault, die Spuren verwischt und das einzige Beweisstück, der Ring, bereits vor Wochen mit starker Eskorte in die Hauptstadt des Reiches gesandt worden.
"Eine Schnaps-Idee. Die ist bestimmt auf Sturtbrants Mist gewachsen", lästerte denn auch die turgenische Thronerbin Inisthrond zu fortgeschrittener Stunde. "Dem Großfürsten selber wäre das doch völlig egal ..."
Als Lure gegen Mitternacht nach Hause kam, war sie zu müde, als dass sie noch an das Pergament gedacht hätte, und auch in den folgenden Tagen lag es ungelesen auf einem Regalbord.

Die Kommission traf in Turgenien ein, heftete Lure einen Orden ans Wams, führte zahllose Befragungen, Untersuchungen und Vernehmungen durch und reiste schließlich – sichtlich ungehalten ob der unprofessionellen Art der Tatort-Sicherung – wieder ab. ("Tatort? Ich höre immer Tatort! Das hört sich ja an, als hätte Ogertod  ein Verbrechen begangen ... ihr Etappenhengste!" ereiferte sich ein Spähtrupp-Führer während der Ortsbegehung in der Glatten Ebene und musste dafür zwei Tage Stubenarrest wegen ungebührlichen Benehmens absitzen.)

Erst Wochen später ergab es sich, dass Lure der Zettel wieder einfiel, den sie in ihrem Soldbuch gefunden hatte. Ein Hauch von Schuldbewusstsein gegenüber der Untersuchungskommission dürfte sie in diesem Moment gestreift haben; sie setzte sich auf einen Schemel ans Fenster und faltete das Pergament auseinander.

 

Abschnitt II – Worin ein Plan geschmiedet wird

Cornbrant ap Midbar Bei Lure von einer Schreib-Lese-Schwäche zu sprechen, träfe die Sache nicht annähernd: tatsächlich war die stellvertretende Kommandantin kaum fähig, ihren Namen unter den Tagesbefehl (den man ihr jeweils vorlesen musste) zu setzen.
Doch mit dem Nachlass des Ogers konnte sie durchaus etwas anfangen, denn ganz offensichtlich handelte es sich um eine Landkarte oder vielmehr – das große rote "X" inmitten der kunstreich gezeichneten Flüsse, Wälder und Berge ließ darauf schließen – um einen Lageplan. Nur war weder zu erkennen, welche Gegend abgebildet war, noch worauf die Markierung hinwies; den Text am unteren Kartenrand zu entziffern war die Tochter des Generals absolut nicht in der Lage.
Nun hätte es Lure eigentlich überhaupt nicht zu interessieren brauchen, was auf dem Pergament geschrieben stand, denn es wäre natürlich ihre Pflicht gewesen, den Fund ihrem Vorgesetzten – also ihrem Vater – oder der Fürstin zu melden. Aber als Bezwingerin des Ogers war es doch schließlich ihr gutes Recht, die Karte zu behalten, oder? Zumal Isosthrond ihr schon den Ring abgenommen hatte.

"Ich bin Gorbatsch aus der Rotte der Shiraan und dies ist der Ort wo ich alles hingetan habe was ich besitze."
"Ein Schatz!" entfuhr es Yans. "Der Plan ist eine Schatzkarte."
"Das muss ja ein toller Schatz sein. Was besitzt so ein Unhold schon groß? Skalps und abgeschnittene Schwänze wahrscheinlich!" spottete Fillien.
"Die hat er bei sich getragen", entgegnete Lure trocken.
"Und schreiben hat er auch gekonnt!" merkte Yans an.
"Hm, zugegeben ..."
"Siehst du! Ein Schatz, eben doch ..."

Lure hatte diese Möglichkeit bereits in Betracht gezogen und war lediglich davon überrascht, dass der Oger die Karte offenbar selbst gezeichnet hatte. Eine schlaflose Nacht lang über dem Pergament brütend war sie im Geist die Liste ihrer lesekundigen Bekannten durchgegangen und hatte sich endlich für Fillien entschieden, mit dem sie seit Kindertagen eine oberflächliche Freundschaft verband.
Fillien führte die Bücher eines abgelegenen Schafpachtbetriebes, den er zusammen mit seinem Halb-Bruder, dem Buckligen Yans, bewirtschaftete und galt zudem als aussichtsreichster Kandidat für die Kleinerbschaft, was äußerst hilfreich sein mochte. Denn der Plan war ganz einfach: Lure wollte von der Karte Gebrauch machen und den Schatz – nur darum konnte es sich handeln, sie war sich sicher – mit Hilfe von Fillien heben. Ihre Pflichtverletzung würde sie so natürlich nicht länger mehr geheim halten können, und dann war sie unter Umständen auf die richtigen Freunde angewiesen: Leute mit Macht und Einfluss. Auf ihren Vater wollte sie hierbei nicht wetten, die ganze Loyalität des alten Soldaten galt seiner Fürstin. Aber angesichts ihrer Verdienste um Turgenien, ihres Ansehens bei den Truppen und vor allem der Tatsache, dass sie den turgenischen Kleinerben an ihrer Seite hatte, würde sie schlimmstenfalls mit einem formlosen Verweis davonkommen – selbst die Fürstin hatte sich ein Stück weit der öffentlichen Meinung zu beugen. Zudem war Lure durchaus gewillt, einen angemessenen Teil des Fundes als "Steuer" an die Herrin abzuführen.

"Gut, vielleicht ist da ja tatsächlich was zu holen."
"Dann bist du dabei?"
"Klar, wir schauen uns das ganze mal an. Oder, Kleiner?"
Fillien versetzte Yans einen Rippenstoß.
"Genau", grinste der, und rieb sich die Seite.
"Und wenn da wirklich mehr liegt, als vergammelte Augäpfel und wertloser Flitterkram ..."
"... kaufen wir uns frei und ziehen unsere eigene Zucht auf!" strahlte Yans.
Lure war zufrieden. Der Plan dürfte funktionieren.

 

Abschnitt III – Worin der Plan scheitert

Cornbrant ap Midbar Der Plan funktionierte nicht.
Denn außer einem kleinen Vermögen an Schmuck, Gold und Münzen unterschiedlichster Prägung stießen die Schatzsucher auf die Tagebücher des Ogers. Und diese waren – so würde man heute sagen – pures Dynamit. Neben den Erinnerungen an seine Jungbullenzeit in den Sümpfen südlich von Osselburg mit Krieg, Vertreibung, Gefangenschaft und Flucht, wilden Abenteuern in aller Herren Länder und der Überwindung des Riesenpasses waren darin auch haarklein die Umstände von Stiftenbrants Tod geschildert: wie Gorbatsch auf verwickelten Pfaden nach Caragon gelangt, dort in geheimen Verließen festgehalten und von Rosadur schließlich dazu gedungen worden war, den Herrn von Midbar aus dem Weg zu räumen!
Nachdem sich die erste Begeisterung über den reichen Fund gelegt hatte, setzte Fillien sich mit den Aufzeichnungen etwas abseits, erkannte schon beim Überfliegen des Textes seine Brisanz und hatte daraufhin einen äußerst törichten Einfall: er verschwieg seinen Gefährten den wichtigsten Teil der Memoiren und wurde, kaum war der Schatz nach Turgenien geschafft und noch ehe Lure den ursprünglichen Plan zu Ende führen konnte, bei der Fürstin vorstellig.
"Ich bin", sprach er, "im Besitz eines Dokumentes, dessen Inhalt weitreichende Folgen für das ganze Reich hätte, wenn er öffentlich gemacht würde."
Daraufhin las er seiner Mutter die interessantesten Passagen vor und schloss mit den Worten: "Ich bin mir sicher, dass Ihr das gebührend zu würdigen wisst."
Was Isosthrond auch tat: Sie fragte, ob sonst noch jemand die Tagebücher kenne und bat sich Bedenkzeit aus.

Acht Stunden später waren Fillien und Yans tot. Der Buchhalter hatte seine Position über- und Isosthronds politisches Kalkül unterschätzt. Diese ließ nämlich, noch ehe Fillien seinen Hof wieder erreicht hatte, Lure zu sich rufen:
"Mir ist zu Ohren gekommen, dass ein Komplott geschmiedet wurde gegen das Fürstentum und das Reich. Und ich bin zutiefst erschüttert, denn ich habe dir vertraut wie meiner eigenen Tochter."
Rumms! Das saß.
Lure rang nach Luft: "Ich verstehe nicht ..."
"Bestreitest du etwa, ein wichtiges Dokument unterschlagen zu haben?"
"Nein, aber ..."
"Bestreitest du etwa, gemeinsame Sache gemacht zu haben mit einem gemeinen Erpresser?"
"Erpresser? Ich ..."
"Bestreitest du etwa, im Solde einer fremden Macht zu stehen?"
In diesem Moment stürmte ein Trupp Palastwächter herein, schüttete einen Sack mit klirrenden Münzen vor Lures Füße und nahm Haltung an.
"Dies haben wir im Haus der stellvertretenden Kommandantin gefunden, Herrin!", meldete der Anführer.
"Danke, Wachtmeister!"
Im Laufschritt verließen die Gardisten den Raum.
"Nun?! Ich höre!"
"Ja also, ich ... es ... das ganze ist ein Missverständnis!" japste Lure.
"Missverständnis? So so!"
Rasch bückte sich Isosthrond und griff sich eine Handvoll der Münzen.
"Mal sehen, was wir hier haben. Ach, sieh einer an: ein Caragonischer Goldtaler ... und hier ... interessant ... ein alter Basilisker, noch unter Burgindur geprägt ... sehr selten hierzulande. Noch mehr Goldtaler ... nun, was meinst du?"
"Aber das haben wir alles gefunden! Es stammt aus dem Schatz des Ogers!"
"Ach, des Ogers? Und wen meinst du mit 'wir'? Etwa deine Mitverschwörer?"
"Nein Herrin, sicher keine Verschwörer!" und so weiter und so fort.

Als Isosthrond auch noch Lures Vater ins Spiel brachte ("Was mag wohl mein Waffenmeister davon halten, dass seine Tochter eine Verräterin ist? Oder ... ist er etwa an der Verschwörung beteiligt? Plantet ihr etwa einen Putsch?"), war die unglückselige Schatzsucherin endgültig weichgeklopft und legte ein umfassendes Geständnis ab: Wie sie die Karte erst vergessen, dann wiedergefunden, was sie geplant und wen sie eingeweiht hatte, wie sie mit den Brüdern losgezogen war, und was sie denn nun letztlich gefunden hatten. Also eigentlich all das, was sie laut ihrem Plan ja sowieso erzählen wollte. Nur hatten sich plötzlich auf erschreckende Weise die Vorzeichen geändert. Und Fillien konnte ihr nicht helfen. Das wurde Lure klar, als die Fürstin nach längerem Schweigen folgendes sagte:
"Gut. Ich bin geneigt, dir zu glauben. Du hast einen Fehler begangen, doch will ich dir vergeben. Allein: Du magst schuldlos sein, doch deine Gefährten sind es nicht. Nur kann ich sie nicht bestrafen, ohne dass ein Schatten auf dich und deinen Vater fiele. So bitte ich dich als Zeichen deines guten Willens und deiner lauteren Absichten und vielleicht auch als Wiedergutmachung um diesen Dienst: Führe Yans und Fillien ihrer gerechten Strafe zu."
Dann hob Isosthrond voller Pathos die Arme gegen die Decke: "O weh, Fillien! Wie schmerzlich ist dein Verrat! – Du darfst jetzt gehen. Und vergiss nicht, mir das Tagebuch des Ogers zu bringen."

Lure hatte keine Wahl; es war ihr klar, wie das Eröffnungsplädoyer des Staatsanwalts lauten würde, sollte sie Isosthrond "Wunsch" nicht nachkommen:
"Der des Hochverrats angeklagte Waffenmeisters Loel und seine Tochter werden beschuldigt, im Solde einer fremden Macht stehend und in deren Auftrag den Kronzeugen im Mordfall Stiftenbrant getötet, wichtige Beweismittel zur Seite geschafft, sich in der Folge unrechtmäßig bereichert und ein Komplott geplant zu haben mit dem Ziel, die Fürstin Isosthrond zu stürzen."
Und auch bezüglich des Urteils brauchte man sich gewiss keine Illusionen zu machen.

Also ging Lure in den frühen Abendstunden hinaus zum Hof der Brüder: Yans ließ sie mit eingeschlagenem Schädel hinter dem Schuppen liegen, Fillien kriegte ein Messer in die rechte Niere. Und noch ehe der Buchhalter verröchelt war, machte sich die Auftragsmörderin mit dem Tagebuch unter dem Arm auf den Rückweg zum Palast.

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